Persian Gulf Incubator
Marco Poloni gilt spätestens seit seiner Teilnahme 2005 an der 51. Biennale in Venedig im Schweizer Pavillon als ein wichtiger Vertreter des eidgenössischen Kunstschaffens. In seiner ersten Personale in Österreich zeigt der Fotohof drei neue Arbeiten des Künstlers, der in Berlin und Chicago lebt und arbeitet. In seinem Werk beschäftigt sich der Künstler mit den tief im kollektiven Gedächtnis verankerten Bildmustern der Massenmedien Fotografie und Film sowie deren Bezug zwischen Realität und ihrer durch die Kamera vermittelten Abbildung. Dabei bedient er sich den Mitteln der Fotografie (so in Freiburg und Venedig) sowie der medialen Installation. Seine seriellen Bildentwürfe, die oftmals ihren Ursprung im aktuellen Zeitgeschehen haben, ziehen den Betrachter in eine Welt, in der sich die Grenzen zwischen Dokument und Fiktion vermischen.
Oft sind es Themen der Zeitgeschichte, die sich in assoziativen Bildkombinationen zu großen, poetischen Bildern entwickeln. Ausgangspunkt kann, wie im konkreten Ausstellungsbeitrag "Persian Gulf Incubator", eine gefundene Amateurfotografie aus dem Jahre 1970 sein, die eine winkende Frau in einer Gruppe von Passagieren vor einem italienischen Luxuskreuzfahrtschiff, der "Raffaello", im Hafen von New York zeigt. Dieses vorgefundene Foto liefert den Hintergrund für eine (auch autobiografisch motivierte) Recherche - als Kind ist Poloni selbst mit diesem Schiff von New York nach Neapel gereist -, die sich als große mediale Wandinstallation unaufhaltsam zu einem dramatischen Szenario generiert, bis hin zum zentralen Schauplatz der verdeckten Erkundungsreise des Künstlers, dem iranischen Reaktorgelände Bushehr, welches als primäres Angriffsziel der Vereinigten Staaten gilt.
Auch in seiner zweiten Arbeit für den Fotohof, "The Sea Rejected Me", geht es dem Künstler um die (Re-)Konstruktion einer (Lebens-)Geschichte im Kontext des nuklearen Wettrüstens. Der 1938 auf hoher See spurlos verschwundene, berühmte italienische Atomphysiker Ettore Majorana steht im Zentrum einer Filminstallation, die sich auf den Fund eines SW-Films in einem iranischen Filmladen bezieht. Dieses Dokument zeigt einen Mann, welcher eine gewisse Ähnlichkeit mit Majorana aufweist. Daraus ergibt sich ein weiterer Anlass für Spekulationen über sein bis heute nicht geklärtes Verschwinden. Auch hier unternimmt der Künstler den Versuch, durch intensive Recherche Bezüge zu Lebensentwürfen herzustellen, die in ihrer medialen Umsetzung eine hochkomplexe, ästhetische Bildsprache erfahren.
Der dritte Beitrag für die Ausstellung, "The Sea of Majorana", stellt eine sozusagen radioaktive Meeresfilmsequenz vor Einbruch der Dunkelheit dar. Die zugrunde liegende Radioaktivität durchdringt das Filmmaterial. Dazu hört man aus dem Off eine Stimme, die einen wissenschaftlichen Essay von Majorana vorliest. Der Film ist in einer nicht weiter festgelegten Zukunft nach einer atomaren Explosion verankert. Es ist eine bedrohliche Meditation über das nukleare Zeitalter. Diese mit dem Museum für Photographie in Braunschweig gemeinsam konzipierte Ausstellung findet dort im Mai ihre Erweiterung, wobei der Künstler eine weitere Arbeit zeigen wird, die auch in Buchform vorliegt. In "Displacement Island" führt uns Poloni auf die sizilianische Insel Lampedusa, die einerseits als touristisches Paradies gilt, gleichzeitig aber unsere reiche Gesellschaft mit den Ärmsten der Welt, gestrandeten Migranten aus Afrika, konfrontiert.
Dank an Pro Helvetia und die Galerie im Taxispalais für die Unterstützung dieses Ausstellungsprojektes.
Since his participation in the 51st Venice Biennale in the Swiss pavilion, Marco Poloni is considered to be an important representative of the Swiss contemporary arts scene. For his first solo exhibition in Austria the Fotohof will show three new works by the artist, who lives and works in Berlin and in Chicago. In his work the artist explores the deep anchorage of images from mass-media photography and cinema in collective memory, and their oscillation between reality and their representation as mediated by the camera. His image dispositifs, that often have their origin in present-day events, draw the viewer in a story world, in which the boundaries between document and fiction coalesce. Recurrently, he draws his themes from contemporary history, producing large and poetic sets of associatively sequenced images.
In his present exhibition work "Persian Gulf Incubator," the starting point was a found amateur photograph from the 1970s. It shows a woman waving farewell amid a group of passengers on the Italian luxury liner “T/S Raffaello” in the harbor of New York. This photograph encountered by chance provides the backdrop for an (also autobiographically motivated) investigation—in his childhood Poloni actually took this ship from New York to Naples—that climaxed in a stealthy survey trip the artist took to the Iranian nuclear compound of Bushehr, which is a primary target point of current US warmongering. The result is a large medial wall installation that inexorably generates a dramatic scenario.
In the second work produced for the show, "The Sea Rejected Me," the artist addresses the (re-) construction of a (personal) narrative in the context of nuclear proliferation. The traceless disappearance on open sea of the reputed Italian atomic physicist Ettore Majorana in 1938 lies at the heart of a film installation which takes its cue in the finding of a B&W film at a dealer for cinema equipment in Teheran. This document shows a man who bears a certain resemblence to Majorana. The discovery opens a new field for speculations about his yet unexplained vanishing. Here too, through intensive research, the artist attempts to create references to life patterns, which in their medial context develop a highly complex visual language. The third work produced for the exhibition, "The Sea of Majorana" shows—as it were—a radioactive seascape sequence filmed at dusk. The ambient radioactivity pierces the film material. A voice reads in off a scientific essay written by Majorana. The film is anchored in an unspecified, post-atomic blast future. It provides a dismal meditation on the new atomic age.
This exhibition, conceived together with the Museum für Photographie in Braunschweig finds a further extension in May, where the artist will show another work, which will also exist in book form. In "Displacement Island" Poloni takes us to the Sicilian island of Lampedusa, a touristic paradise in which our wealthy society is confronted with the destitute of the world, namely, stranded migrants from Africa.